Niedersachsen schiebt russische Familie aus Kirchenasyl ab

Kirchturm mit Mond
dpa / picture alliance / Swen Pförtner
Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl haben aktuell über 780 Menschen Schutz in einem Kirchenasyl gefunden.
Flucht vor Krieg gegen Ukraine
Niedersachsen schiebt russische Familie aus Kirchenasyl ab
Jahrzehntelang haben die staatlichen Behörden das Kirchenasyl geachtet. Seit einigen Monaten häufen sich jedoch Meldungen über Festnahmen und Abschiebungen aus dem Kirchenasyl. Jetzt traf es eine russische Familie in Bienenbüttel bei Uelzen.

Die Polizei und die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen haben am Sonntagabend (12. Mai) in Bienenbüttel bei Uelzen ein Kirchenasyl aufgelöst und eine vierköpfige russische Familie nach Spanien abgeschoben. "Wir sind geschockt vom Vorgehen der Landesaufnahmebehörde", sagte Pastor Tobias Heyden von der evangelischen St. Michaelisgemeinde am Dienstag. Die Festnahme der Familie an einem Sonntag und die Missachtung des Kirchenasyls "erschüttern und erschrecken uns zutiefst."

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen warf der rot-grünen Landesregierung vor, sie habe damit ein jahrzehntelanges Tabu gebrochen. Die Polizeibeamten hätten sich per Durchsuchungsbeschluss Zutritt zur Gemeindehauswohnung verschafft, in der die Familie untergebracht gewesen sei, berichtete der Pastor.

Die beiden Männer hätten den Kriegsdienst für Russland verweigert. Alle vier sei noch in der Nacht nach Barcelona geflogen worden. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten habe das Land Niedersachsen damit ein Kirchenasyl durch den Einsatz der Polizei beendet und die Schutzsuchenden abgeschoben.

Nach Angaben des Flüchtlingsrates hatte es zuletzt 1998 einen Fall von Räumung eines Kirchenasyls mit anschließender Abschiebung gegeben. Danach hätten alle Innenminister betont, dass auf Zwangsmaßnahmen gegen Personen im Kirchenasyl verzichtet werde. Im April dieses Jahres sei dennoch ein Kirchenasyl von den Behörden aufgelöst worden. Die Abschiebung sei aber gescheitert. Politiker und die Ministerin Daniela Behrens (SPD) hätten versichert, es habe sich um ein Versehen gehandelt, erläuterte Geschäftsführer Kai Weber dem Evangelischen Pressedienst (epd). Nach der jetzigen Aktion gehe er aber davon aus, dass nun bewusst eine neue, restriktive Richtung eingeschlagen werde.

Soll Härte symbolisiert werden?

Auch in anderen Bundesländern habe es in den zurückliegenden Monaten zum Teil spektakuläre Kirchenasylräumungen gegeben, sagte Weber. Es solle offenbar vor allem Härte signalisiert werden. Das spiegele den Rechtsruck in der innenpolitischen Diskussion wider. "Statt den Rechtsextremen Paroli zu bieten, läuft die Politik ihren Parolen hinterher."

In Bienenbüttel hielt sich das russische Ehepaar mit einem erwachsenen Sohn und einer 16-jährigen Tochter den Angaben zufolge auf der Durchreise nach Spanien in Deutschland bei Verwandten auf, als Vater und Sohn einen Einberufungsbefehl erhielten. Die Familie habe sich nicht an dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine beteiligen wollen und deshalb in Deutschland Asyl beantragt. Die Mutter sei aufgrund der psychischen Belastung schwer erkrankt und stationär behandelt worden. Dennoch sei der Asylantrag mit Verweis auf das Dublin-Abkommen abgelehnt worden. Die Familie habe bereits ein spanisches Visum gehabt.

Daraufhin habe sich die Familie an den evangelischen Kirchenkreis gewandt, erläuterte Pastor Heyden. Dieser habe nach sorgfältiger Prüfung das Kirchenasyl für sinnvoll erachtet. Die Ärzte der Mutter hätten von einer Abschiebung dringend abgeraten. Die Prognose zur Integration der Familie sei gut gewesen. Vater und Sohn hätten Arbeitsangebote vorweisen können. Die Tochter habe das Lessing-Gymnasium Uelzens besucht. Das Kirchenasyl in Bienenbüttel sei auch mit der Konföderation Evangelischer Kirchen in Niedersachsen abgesprochen gewesen.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche hat derzeit Kenntnis von 594 aktiven Kirchenasylen mit mindestens 780 Personen, darunter etwa 130 Kinder.